Die Essenz von New Work und Agile: gesunder Menschenverstand von gesunden Menschen.

Autorin: Anita Frey

 

Wofür sind agile Methoden eigentlich gut?

 

New Work und Agile sind mittlerweile zu Buzzwords geworden. Die Wörter Scrum, Kanban, Design Thinking, liest man immer wieder. Spotify Modell, agile Transitionen, agile Transformationen, es gibt viele Changeprojekte und auch eine sehr große Bandbreite an Trainingsangeboten rund um dieses Thema. Zumindest mein Linkedin Feed ist voll mit Posts über Familienthemen und Work-Life-Balance. Die neue Arbeitswelt wird in schillernden Farben beschrieben und die Erfolgsgeschichten von Apple, Google & Co. sind in aller Munde. Unternehmenskultur gilt als einer der maßgeblichen Erfolgsfaktoren im digitalen Zeitalter. Aber was passiert wirklich in den Unternehmen? Hat sich Zufriedenheit und Glücksgefühl in Bezug auf die Arbeit wirklich verbessert? Gibt es Unternehmen, die oft schon sechs- und siebenstellige Beträge in agile Changeprojekte investiert haben, die ein digitales, disruptives oder einfach nur neues, erfolgreiches Geschäftsmodell auf den Weg gebracht haben? Oder Produkte auf den Markt gebracht haben, die ein echtes Kundenproblem lösen und damit einen neuen Standard in Punkto Customer Experience setzen? Und warum ist das so?

 

 

Menschen als Industrieroboter? 

Ich mache es fest an zwei kleinen Geschichten. Neulich rief mich eine Personalberatung an, sie waren auf der Suche nach Agilen Coaches, die das Spotifiy Modell kennen und möglichst schon „implementiert“ hatten, um ein Projektteam für ein deutsches Energieunternehmen zusammen zu stellen. Eine sehr große Strategieberatung hätte es auf den Weg gebracht und man suche nun Umsetzer, die die Mitarbeiter "in das neue Mindset coachen könnten”. Ein paar Tage später traf ich bei einem Online-Event einen ehemaligen Scrum Master von Spotify. Er erzählte uns das viel beschriebene Spotify Modell gäbe es schon eine Weile nicht mehr bei Spotify, es war ein Entwicklungsschritt der Organisation, die Organisation habe seitdem schon viele Entwicklungsschritte gemacht und sich stark verändert.

Menschen sind zerbrechliche Wesen.

Diese zwei kleinen Geschichten beschreiben genau warum agile Transitionsprojekte fast schon scheitern müssen. Der Kern der Sache, die Menschen mit all ihren Bedürfnissen und ihrer Lebendigkeit werden außer Acht gelassen. Es sollen meist Menschen „auf eine neue Methode“ gecoacht werden. Als ob Menschen Roboter sind, die man heute so und morgen so programmieren kann. Dieses Weltbild aus dem Industriezeitalter widerspricht dem agilen Gedanken. Keine Methode der Welt und kein noch so perfekt ausgeführtes Regelwerk kann Empathie und einen klaren Verstand ersetzen. Nach meiner Erfahrung reicht es sehr oft schon Mitarbeitern freies Denken und Spüren zu erlauben und sie lediglich zu begleiten auf dem Weg in die Ausgestaltung ihrer Interpretation von Produkten, Prozessen oder Leistungen. Sie beschäftigen sich jeden Tag mit ihren Prozessen und Themen und sind die Experten für ihr Unternehmen. Natürlich unterstützen agile Methoden diese Entwicklung, jedoch ist der wichtigste Faktor eine gute und gesunde Körperwahrnehmung, um für die eigene Gesundheit, die rechtzeitige Erfüllung von Bedürfnissen sorgen zu können.

 

 

Ein Plädoyer für gelebte Menschlichkeit. 

Sich selbst als Mensch spüren zu können, Bedürfnisse bei sich selbst wahrzunehmen ist die Grundlage um sich auch in andere Menschen, sprich Kunden hineinversetzen zu können. Kunden sind keine abstrakten Objekte, die automatisch Finanzströme in Form von Umsatz generieren. Jeder einzelne Kunde ist ein fühlendes Individuum mit persönlichen alltäglichen Herausforderungen. Ihm durch kluge Problemlösungen diese Herausforderungen ein kleines Stückchen leichter zu machen ist die Aufgabe, die es zu bearbeiten gilt. Dann bezahlt er sicher gerne für ein Produkt und sichert so Arbeitsplätze. Wenn diese Verbindung hergestellt werden kann ist der wichtigste Schritt getan. Wer möchte schon gerne in einer Endlosschleife einer Servicehotline warten oder den Satz hören „Dafür bin ich nicht zuständig.“? Also warum wird es jeden Tag so vielen Menschen angetan? Oder auch umgekehrt, was kann ein Service Mitarbeiter für den Ärger, den ein Kunde empfindet? Ein Problem kann sachlich beschrieben werden und Gefühle können adäquat ausgedrückt werden. Wenn ich mich selbst gut spüre, kann ich mich selbst in meinem Gegenüber wiedererkennen und wohlwollend auf ihn reagieren. Nur, wenn ich mit mir und meinen Bedürfnissen gut umgehen kann, gestehe ich dieses Niveau auch anderen Menschen zu. Dabei kann es sich um unterschiedliche Bedürfnisse handeln: rechtzeitig zu spüren, wenn ich ein Glas Wasser trinken möchte, den Appetit auf gesunde Nahrung wahrzunehmen oder auch das Bedürfnis nach Bewegung. Vieles davon lässt sich in kleinen Dosen auch im beruflichen Umfeld umsetzen. Wenn wir über artgerechte Haltung bei Tieren diskutieren, müsste man auch überlegen, ob ein typischer acht Stunden Tag in einem Büro einer artgerechten Haltung des Menschen entspricht.

 

Es gibt nur ganze Menschen. 

Es scheint eine hartnäckige Grundannahme zu geben, es gäbe eine Trennung zwischen privaten und beruflichen Menschen. Schon in der Schule wird viel “Funktionieren” verlangt, so ist aktuell auch unser Bildungssystem gestaltet. Allein der Begriff “Bildungssystem” hört sich schon eher an wie für Industrieroboter gemacht. Menschen sind aber einfach Menschen, ganze, fühlende, manchmal zerbrechliche Wesen, die Bedürfnisse haben. Warum sollte ein Mensch in einem Büro anders fühlen als privat? Beispielsweise brauchen Menschen Zugehörigkeit. Zu einer definierten Gruppe dazu zu gehören hat über tausende von Jahren für das Überleben gesorgt, daher ist dieses Bedürfnis tief in unsere DNA einprogrammiert. Wie oft werden noch Projektmanager in Gremien „gegrillt“ um relevante Stakeholder zu überzeugen und entsprechend Budget zu bekommen. Natürlich muss man prüfen, ob die Idee gut und der Plan durchdacht ist. Aber es gibt auch eine feine Linie zu „jemanden unnötig das Leben schwerer machen“. Ungerechte Verhaltensweisen erschüttern das Bezugssystem von Menschen und machen Angst. Kein Wunder, wenn jemand mit diesen Erlebnissen die nächste Besprechung dominieren muss, um die entstandene Angst durch Kontrollverhalten zu kompensieren. Daher erscheint es logisch Menschen das zu geben was sie brauchen, damit sie gut und gerne ihre Arbeit machen.

 

Was es braucht, um das Potential des Menschen zu nutzen

Auch in der Satzung der WHO wird Gesundheit definiert als: „ein Zustand vollständigen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit oder Gebrechen.“ Der Weg weg von funktionierenden Menschenrobotern hin zu menschlichen Menschen führt über einen gesunden Körper, Geist und Seele. Auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung definiert Gesundheit anhand dieser drei Ebenen. Mit dieser Definition starten wir unsere Beratungsprojekte: im Fokus steht die Gesundheit der Menschen in allen drei Dimensionen. Nur vollständig gesunde Menschen, die am Arbeitsplatz genauso sein dürfen wie sie sind und sich umfassend wohl und integriert fühlen, können ihr Potential wirklich nutzen. Deshalb fangen wir unsere Arbeit bei effective work teams an mit Mindset Trainings, die auch Körperübungen enthalten. In acht Wochen trainieren wir mit Teilnehmern Wahrnehmung, Muskelkraft und Beziehungsfähigkeit. Wir arbeiten mit wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen aus dem Gesundheits- & Sportbereich. Auch für unsere Coachings nutzen wir Methoden aus dem klinischen Umfeld, wie z.B. Biofeedback. Während des Coachings lernen Klienten direkt selbst, wie ihr Körper funktioniert und auch was ihn wirklich triggert oder beruhigt. Sie lernen sich auf der Basis von quantitativ gemessenen Körpersignalen selbst besser kennen und steuern. Denn sehr oft verfälschen unsere Muster und Überzeugungen unsere eigene Körperwahrnehmung. Durch quantitative Messmethoden kann dies korrigiert werden. Diese Methoden können sie anschließend leicht selbst einsetzen, für vielfältige Herausforderungen, auch ausserhalb des Jobs. Nur wenn sich Menschen auch als Menschen auffassen dürfen, wird das Potential von agilen Methoden wirklich wirksam und es entstehen bahnbrechende Produkte, die auch andere Menschen genau bei Ihren Bedürfnissen abholen und eine echte Lösung anbieten. Nur gesunde Menschen bilden gesunde Organisationen und erschaffen gute Produkte.

 

Es ist in Beratungsprojekten schon öfters vorgekommen: Ich betrete einen Besprechungsraum und mehrere Anwesende zücken in diesem Moment ihr Handgelenk, um auf ihrer Smartwatch ihre aktuellen Körperfunktionen zu überprüfen. Das freut mich natürlich sehr. 😊

 

 

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