Wann hast Du Dich das letzte Mal wie ein Teil eines größeren Ganzen gefühlt? Es gibt ein konkretes Ziel, das es zu erreichen gilt. Um Dich herum sind Menschen, die genauso motiviert und bereit sind auf das Ziel hinzuarbeiten. Es ist völlig unwichtig wer was genau macht, es wird nur besprochen, was konkret besprochen werden muss und es wird enorm viel abgearbeitet. Alle tun alles dafür, um das Ziel zu erreichen, man spürt den Fortschritt regelrecht, wenn man sich mit dem Thema beschäftigt. Im Englischen gibt es ein Wort, das diesen Zustand ganz gut beschreibt: „vibrant“, es heißt übersetzt dynamisch, lebhaft, pulsierend, schwingend.
Nimm Dir ein paar Minuten Zeit und erinnere Dich an Situationen in Deinem Leben, in denen Du Dich so gefühlt hast. Sei es als Teil einer Fußballmannschaft mit Aufstiegsplänen zu sein, bis hin zur Aufstiegsfeier nach dem letzten errungenen Sieg oder Mitarbeiter in einer Fachabteilung, die gerade eine Krisensituation im Unternehmen in den Griff bekommen muss. Alle Beteiligten haben so richtig Lust alles für das Ziel zu geben, der gemeinsame Erfolg steht über allem. Jeder hat diese Situation schon mindestens einmal im Leben erlebt, manchmal braucht es ein paar Minuten diese Situationen wieder in Erinnerung zu rufen.
Ich werde oft gefragt: „Wie war es bei Amazon zu arbeiten?“ oder auch „Was in der Kultur macht Amazon so erfolgreich?“ Ich kann nur aus meiner Erfahrung heraus sprechen, es war genauso: vibrant. Diesen Zustand würde ich als „im agilen Mindset sein“ bezeichnen. Dafür braucht es nicht zwingend ein perfekt umgesetztes Framework, wie Scrum, SAFe oder LeSS. Es reicht, wenn die agilen Werte zu einem hohen Prozentsatz gelebt werden. Man kann es gut daran erkennen, auf besonders viele Menschen zu treffen, die "einfach Bock haben", die aktiv ihr (Arbeits-)leben gestalten möchten.
Dabei ist ein agiles Mindset nichts was man hat oder nicht hat. Es ist vielmehr ein tägliches Ringen um diesen Flow Zustand. Ein konstantes Reflektieren, sich-selbst-und-andere-ehrlich-in-Frage stellen, täglich das eigene, innere Commitment zu überprüfen und zu justieren, wenn etwas nicht passt oder auch Kollegen darauf anzusprechen.
- Bin ich am richtigen Platz?
- Gehe ich gerne in die Arbeit?
- Finde ich richtig was wir da tun?
- Inspiriert mich die Produktvision?
- Fühle ich mich wohl in diesem Team mit diesen Menschen?
- Was genau gibt mir Kraft und zieht mich hoch?
- Was genau raubt mir Kraft und zieht mich nach unten?
Vielleicht ist da eine Produktvision, die nicht wirklich ein Kundenproblem löst? Eine Produktvision, die sich hohl und leer anfühlt? Eine Produktvision ist nicht in Stein gemeißelt und sollte so lange verbessert werden, bis sie wirklich Gänsehaut auslöst, bis das Produkt für eine gewisse Menschengruppe einen echten Unterschied macht in der Welt.
Oder vielleicht ist da dieser Kollege, der schnell andere angreift, tendenziell einen abwertenden Ton anschlägt, immer ganz schnell weiß, was andere falsch machen oder sich so vehement verteidigt, dass sich niemand mehr widersprechen traut? In der Regel spürt man deutlich, wenn man es mit Kollegen mit einer verborgenen Agenda zu tun hat. Man fühlt sich nach der Begegnung deutlich schlechter, hat so ein undefiniertes Gefühl von Angst, ist nicht mehr so locker und wählt jedes Wort mit Bedacht, damit kein pauschaler Angriff gestartet wird. Sprich es findet kein ehrlicher, lösungsorientierter und menschlicher Kontakt statt. Diese Menschen können auf eine destruktive Art und Weise über sehr lange Zeit die gesamte Gruppendynamik dominieren, die Stimmung nach unten ziehen und viel unangenehmen Druck verbreiten.
Oder vielleicht ist da diese Kollegin, die zwar positiv kommuniziert "Das kriegen wir schon hin...", nur kriegt man mit ihr zusammen gar nichts hin. Sie macht nur Aufgaben, die ihr Spaß machen oder mit denen sie sich darstellen kann, manche Aufgaben werden einfach ignoriert. Bei Zulieferaufgaben lässt sie gerne auf sich warten, auch ganz kleine Aufgaben dauern mehrere Tage, konstant muss man an Dinge erinnern, in Texten finden sich Rechtschreibfehler, Aufgaben werden nur halb erledigt, vieles wirkt auf die Schnelle gemacht. Spricht man sie an, ist immer alles kein Problem. Wenn Worte und Taten nicht zusammenpassen, kann die Zusammenarbeit viel Kraft kosten. Pro Team reicht ein Mensch, der seine persönlichen Ziele über das Team stellt, nicht dem Team dient bzw. der Produktvision, um den Teamflow zu zerstören.
Für irritierende Situationen gibt es nur ein Gegenmittel: offen und ehrlich die Dinge aussprechen, sich nicht abschrecken lassen und mutig die aktuelle Situation ansprechen. Sätze mutiger Menschen, die ich schon erlebt habe, lauten:
- „Sag mal, was hast Du eigentlich gestern gemacht?“
- „Wann ist diese User-Story fertig?“
- "Sag mal, warum bist Du eigentlich so oft krank?“
- „Die Produktvision inspiriert mich nicht, wir sollten sie überarbeiten.“
- „Mir gehen Deine ständigen Rechtfertigungen auf die Nerven. Was hindert Dich daran es einfach zu erledigen?“
- „Ich finde es nicht in Ordnung, dass Du in 90% aller Diskussionen gegen Verbesserungsvorschläge bist, keinen Gegenvorschlag machst und so das ganze Team aufhältst.“
Ohne agiles Mindset, insbesondere ohne das echte und innere Commitment aller Beteiligten, sind agile Methoden nur eine weitere Projektmanagement Methode, es wird sich nichts verändern. Sich an Flow-Situationen aus dem eigenen Leben zu erinnern kann helfen, wieder ein Gefühl für den Zielzustand zu bekommen, Blockaden auf dem Weg dahin zu identifizieren und mutig aus dem Weg zu räumen.
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Cansu (Freitag, 22 April 2022 17:45)
Liebe Anita,
du hast es super auf den Punkt gebracht und mir aus der Seele gesprochen! Für mich den Flow Zustand in einem Team zu erreichen erfordert Mut Dinge offen anzusprechen, neugierig zu bleiben um über sich und andere mehr zu erfahren und sich vom eigenen Ego (wir alle haben es mehr oder weniger ausgeprägt) zu verabschieden. Ich habe es schon erlebt. Es ist wunderschön und leider zerbrechlich. Insbesondere dieses Gefühl von Hidden Agenda und wie es einem zurückhält, kann ich sehr gut nachvollziehen. Danke für deinen Beitrag die Arbeitswelt agiler zu machen. Damit fühle ich mich verstärkt.
Christian, (Donnerstag, 28 April 2022 06:03)
Hallo Anita,
da sind wir dann wieder bei dem Thema
---TEAM---
deren Reife und wie kommt man da hin?
Gruss Dünzi,