Man stelle sich einmal vor: ein hochbezahlter Spitzen-Fussballspieler weigert sich auf das Spielfeld zu gehen, weil der Rasen gemäht wurde. Er sagt, die psychische Belastung der Veränderung für ihn wäre zu groß. Oder eine Fertigungsstraße in der Automobilproduktion wurde umgebaut und die Mitarbeiter beschweren sich, sie können so nicht mehr arbeiten, man müsse sie erst einmal mitnehmen, über das neue „Arbeitsmodell“ aufklären, mit Ihnen diskutieren und man verlange einen Change-Prozess, Workshops und eine langfristige Begleitung, die psychische Belastung der Veränderung wäre zu groß, bestimmt würden viele Mitarbeiter sonst in einen Burn-out rutschen.
Die innere Entscheidung macht den Unterschied
Seltsame Vorstellungen, oder? Der einzige Grund was den Spitzen-Fussballspieler und die Fertigungsmitarbeiter von ihrer Arbeit abhält ist eine Entscheidung. Ähnlich verhält es sich auch mit agilen Methoden. Es ist keine Raketenwissenschaft, man muss nur die recht genau beschriebenen Prozesse einhalten und dann über die Reflektion über den Prozess herausfinden, was für die individuelle Situation noch besser funktioniert, was mehr Ergebnisse und Wertschöpfung bringt und immer weiter optimieren. Ob im Spitzensport, in Dienstleistungsberufen, in der industriellen Fertigung oder im Handwerk: bezahlt wird für Leistung, für Ergebnisse, für produzierte Erzeugnisse, für eine Massage, für einen frisch gepflegten Pflegeheimbewohner, für ein verlegten Parkettboden oder für einen neuen Rohbau. Es ist relativ einfach: Geld gegen Ergebnis, das ist der Grundvertrag zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern bzw. Auftragnehmern und Auftraggebern. Geld gibt es nur, wenn die Leistung stimmt. Oder es hagelt Kundenbeschwerden, relativ schnell nachzulesen auf Google oder anderen Bewertungsportalen.
Ohne Arbeit am Mindset bewegt sich wenig
Warum gibt es immer mehr Beratungsfirmen, die langwierige agile Transitionen begleiten? Workshops über Workshops veranstalten, mit so gut wie keiner Veränderung. Warum gehen Firmen und Teams, durch langwierige und anstrengende, sogenannte Change-Prozesse? Was passiert da gerade mit Büroarbeit?
Scrum nimmt für sich in Anspruch „Doppelte Arbeit in der Hälfte der Zeit.“ Wenn nach der Einführung von Scrum oder Kanban nicht wesentlich mehr Arbeitsdurchsatz oder völlig andere Ergebnisse beobachtet werden können, dann stimmt etwas nicht. Ich habe Scrum und Kanban Implementierungen in allen möglichen Bereichen gesehen und begleitet: in Rechtsabteilungen, in Compliance Abteilungen, in der Entwicklung, in Zentralfunktionen, … der Unterschied zwischen funktionierenden agilen Teams und nicht funktionierenden agilen Teams ist nach meiner Erfahrung nur einer: der Faktor Commitment, gleichzeitig auch einer der agilen Werte, den die Scrum Alliance für ein agiles Mindset empfiehlt.
Ohne innere Entscheidung gibt es kein konkurrenzfähiges Ergebnis
Unsere Welt verändert sich, Kunden verlangen qualitativ hochwertige Leistung und konkrete Ergebnisse bzw. Problemlösungen für ihr Geld. Es reicht nicht mehr jeden Tag seinen Körper in ein Büro zu bewegen, dort fremdgesteuert irgendetwas zu machen ohne konkretes Ergebnis für einen Endkunden. Es reicht nicht mehr ganze Tage von Besprechung zu Besprechung zu gehen, ohne sich die Frage zu stellen was man dort macht, wie lange die Anwesenheit dort wirklich erforderlich ist oder wozu die Besprechung gut ist. Es ist vielmehr der Wandel zu bewusstem, effektivem und ergebnisorientiertem Arbeiten. Dadurch kann ich auch früher nach Hause gehen. Wenn man die Leistung nicht verkaufen könnte, ist der Job obsolet. Es gibt mittlerweile einen Begriff für unbewusste Organisationen, die sich mehr mit sich selbst beschäftigen als mit dem Ergebnis für ihre Kunden: Toxisch.
Ohne innere Entscheidung nehmen toxische Anteile zu
Es gibt sogenannte „Toxic Assets“ übersetzt „Faule Vermögenswerte bzw. Wertpapiere“. Sprich mit diesen Vermögenswerten stimmt etwas nicht, vermutlich wird man sie mit Verlust abschreiben müssen. Bezogen auf einen Menschen habe ich das Wort faul schon lange nicht mehr gehört. Man könnte es auch freundlicher sagen: bequem. Oft wirkt es auf mich sogar so, als ob fleißig oder ehrgeizig schon zu Schimpfwörtern geworden sind. Auch habe ich es schon öfters erlebt, dass engagierte Mitarbeiter abgewertet wurden „Er hat zu hohe Ansprüche.“ „Er muss aufpassen, dass er die anderen nicht verliert.“ „Sie ist nicht verheiratet/hat keine Kinder, sie hat einfach zu viel Zeit.“ Vermutlich haben sie den bequemen Modus ihrer Kollegen zu sehr gestört.
Diese Woche hatte ich ein sehr spannendes Gespräch mit einem indischen Technologiekonzern. Der Wunsch nach Wachstum, Expansion und Ergebnisorientierung war deutlich zu spüren. Dieses Unternehmen hat ein konkretes Ziel und möchte es auch erreichen. Natürlich ist es leichter sich in jungen Strukturen zu bewegen, das gesamte System ist weniger komplex und weniger angereichert mit Altlasten. Jedoch, im Koalitionsvertrag von 2005 hat selbst die Deutsche Bundesregierung das Programm Bürokratieabbau und Bessere Rechtsetzung beschlossen. Kontrolliert wird dieses Programm durch den Nationalen Normenkontrollrat, konkret gemessen am Bürokratiekostenindex.1 Ob es reicht, um auf Dauer mit der Wirtschaft aus Indien, China oder USA konkurrenzfähig zu sein wird sich zeigen.
Wie finde ich zu einer inneren Entscheidung?
Eigentlich reicht es zu beobachten wie ein Daily Stand-up abläuft, um alle nötigen Ansatzpunkte zu finden. Anhand der üblichen drei Fragen:
- Was habe ich seit dem letzten Stand-Up Meeting erledigt?
- Was werde ich bis zur nächsten Stand-Up Besprechung tun?
- Welche Hindernisse oder Risiken gibt es?
Es gibt nur zwei Gründe warum diese drei Fragen nicht oder nicht ehrlich beantwortet werden können:
- Die Produktvision ist nicht klar, das Endergebnis bzw. die Art der Wertschöpfung für ein Team ist nicht klar genug definiert. -> daran kann man arbeiten
- Toxische Strukturen, um nicht zu sagen toxische Verhaltensweisen verhindern Transparenz -> daran kann man arbeiten
Wenn eine Produktvision bzw. ein Endergebnis klar definiert ist, sind alle weiteren Arbeitsschritte einfach nur eine logische Abfolge. Solange die Antwort auf die erste Frage lautet: „Ich weiß gar nicht genau, was ich hier abliefern soll.“ ist noch Schärfungsarbeit an der Produktvision nötig.
In Bezug auf toxische Verhaltensweisen bzw. einer toxischen Unternehmenskultur, kann sich jeder Einzelne in jeder Minute, die er mit seiner Arbeit verbringt, fragen „Was mache ich hier gerade?“ „Zu was ist diese Tätigkeit gut?“ „Wem dient diese Tätigkeit?“ Es reicht nicht mehr das zu machen was alle machen, es reicht nicht mehr irgendeine Arbeit für ein gewisses Gehalt zu machen. Jeder Einzelne muss sich auf die Suche nach dem machen, was ihn wirklich erfüllt, wofür er wirklich brennt, und Leidenschaft spürt. Ohne dieses Wissen und ohne dieses innere Engagement, ohne echtes Commitment, werden Profi-Fussballspieler keinen Sieg erringen und die Fertigungsmitarbeiter kein konkurrenzfähiges Auto produzieren.
Einfach machen…
Alle anderen Forderungen und Beschwerden an die äußere Welt würde ich als Befindlichkeiten bezeichnen. Dieser Konflikt ist nur im Inneren zu lösen und erfordert Arbeit an sich selbst. Natürlich ist es viel leichter die Verantwortung jemanden anders zu geben. Der Chef ist blöd, die Führungskraft nicht so oder so, der Projektleiter macht dieses und jenes falsch, der Lieferant, die Berater, wenn ich Ausreden und Schuldige finden möchte, finde ich welche. Für die Arbeit am eigenen Inneren gibt es nur einen Verantwortlichen: Jeder für sich selbst. Dafür gibt es jede Menge Werkzeuge und Ansätze, wissenschaftlich erwiesen sind schon lange die Wirksamkeit von Achtsamkeit und Bewegung. Für beide Ansätze gilt: Ich muss diese Arbeit auch tun und aufhören darüber zu sprechen zu wollen. Es ist so, als ob ich einen Personal Trainer für Konditionsaufbau bezahle, jedoch eine Stunde mit ihm über Trainingstheorien diskutiere, statt mit ihm einfach das Training zu absolvieren. Toxische Strukturen erkennt man an viel Diskussion und geringen Arbeitsdurchsatz und an toxischen Verhaltensweisen, wie z.B. Beschweren, Schimpfen und Lästern über Dritte, Besserwissen, Abwerten, künstliche Aufreger oder Dramaanfälle. Alle Verhaltensweisen, die eher anmuten wie aus dem Trotzalter von 3jährigen als aus dem vernünftigen Verhaltensrepertoire von erwachsenen Menschen.
Ehrlich und wenig spektakulär: leise ist das neue „cool“
In unserer reizüberfluteten Gesellschaft und Dopamin gesteuerten Gehirne erwarten wir meist große Dinge. Dabei entstehen im Gehirn Abläufe, die vergleichbar sind mit Drogenabhängigen. Es muss immer grösser und weiter sein, immer noch spektakulärer. Je spektakulärer das Ziel umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Dopaminfalle eine große Rolle spielt. Um meine innere Stimme zu finden, muss ich leise werden, auf Entzug gehen und in mich reinhören. Wenn ich jeden Tag trainiere, kommen Stück für Stück Erkenntnisse ins Bewusstsein. Inneres Commitment setzt sich eher zusammen aus vielen kleinen und leisen Elementen: Ich möchte die Existenz meiner Familie sichern. Ich möchte jemanden helfen. Ich möchte diese Technologie mit entwickeln. Ich mag es jeden Tag meine Kollegen zu treffen, denn ich mag meine Kollegen. Es ist völlig individuell, aber ich muss ehrlich zu mir selbst sein, weil es sehr sicher jemanden gibt, der dieses Feuer spürt und dadurch besser ist. Wenn ich mich selbst betrüge, dann betrüge ich gleichzeitig auch mein Umfeld.
Oder um es in den Worten von Steve Jobs zu sagen:
“Your time is limited. Don’t waste it to live someone else’s life. Don’t be trapped by dogma, which is living with the results of other people’s thinking. Don’t let the noise of others opinions drown out your inner voice. And most important: Have the courage to follow your heart and intuition. They somehow know, what you truly want to become. Everything else is secondary. …Stay hungry, stay foolish.”2
Relativ einfach
Wenn ich über mehrere Wochen hinweg nicht genau weiß, was meine Aufgabe ist und wenn ich es nicht schaffe das herauszufinden, dann wird mein Job bald überflüssig sein. Es ist eine Frage der Zeit, bis jemand anderes es entdeckt und konsequente Schlüsse daraus zieht. Wenn ich nicht weiß, warum ich etwas mache, werde ich immer schlechter sein als jemand, der genau weiß was er will. Meine Lebenszeit sollte mir zu schade sein, nur meinen Körper jeden Tag an einen Ort zu bewegen, nicht aber meinen Geist und meine Leidenschaft. Faule Äpfel würde man ja auch aus dem Obstkorb entfernen, bevor sie die anderen anstecken, oder? Die Menschen von dem indischen Technologiekonzern wissen genau was sie wollen, weißt Du es auch?
Drei konkrete Tipps:
- Führe für Dich eine tägliche Routine ein mit dem Ziel Dein inneres Commitment zu prüfen und sammle positive Gänsehautmomente. Sie sind Dein Indikator und führen Dich zu Deinem ganz persönlichen Energiequellen: 30 Minuten spazierengehen in der Mittagspause, Tagebuch schreiben, meditieren, Sport machen oder Yoga, eine kalte oder heisse Dusche, was auch immer Dir hilft zu Dir zu kommen und Deine innere Stimme zu hören.
- Eigene Spielfläche sauber halten: Halte Dich heraus aus Lästereien über Kollegen, beschwere Dich nicht wie schlimm alles ist, versuche immer zu überlegen: Was kann ich jetzt, in diesem Moment tun, um in dieser Situation Klarheit und Transparenz zu schaffen. Bereite jedes Meeting vor, kenne genau die Daten und Fakten von diesem Thema und von Deinem Verantwortungsbereich. Keine Meinungen, keine persönlichen Erfahrungen, nur Fakten. Wie viele Kunden sind betroffen? Wie viel Umsatz steckt dahinter? Wie hoch sind die Kosten? Aus welchen Parametern setzt sich genau das Problem zusammen? Diskutiere nicht über irrelevante Probleme, schon gar nicht, wenn die andere Person keine Fakten kennt. Wenn Du nicht verstehst was Deine Aufgabe ist: Frage Deine Führungskraft. Wenn sie es Dir nicht sagen kann, frage andere Führungskräfte, frage Deinen Chef-Chef, wenn er es Dir nicht sagen kann frage Deinen Chef-Chef-Chef, bis Du beim CEO angekommen bist. Wenn er Dir nicht sagen kann, was deine Aufgabe ist, suche Dir einen Bereich oder eine Firma, die Dein Engagement schätzt, verschwende nicht Deine Lebenszeit.
- Spreche toxische Verhaltensweisen bei Kollegen an: Jede Situation, in der Du anwesend bist, kannst Du auch konkret verändern. Frage Kollegen warum sie negativ über andere oder den Arbeitgeber sprechen. Frage sie, warum sie jeden Tag aufstehen und in diese Arbeit gehen. Fordere eine klare Vision ein, fordere Commitment von Deinen Kollegen ein.
Quellen:
1: https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/buerokratieabbau/der-buerokratiekostenindex-434042 und
2: https://www.youtube.com/watch?v=UF8uR6Z6KLc&ab_channel=Stanford
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